Jedes Jahr dasselbe? Das gilt gewiss nicht für den „Jedermann“ der Salzburger Festspiele.
Kaum Besetzungsentscheidungen vermögen es die Meinungen in der Alpenrepublik derart zu spalten wie jene rund um das Spiel vom Sterben des reichen Mannes. Hugo von Hofmannsthals Ruf nach dem „Jedermann“ lässt Salzburg erbeben und in der Tat dringt er bis in Mark und Bein. Man kann sich der Gänsehaut nicht verwehren, wenn der Tod so vehement sein Recht einfordert und keinerlei Rücksicht auf Ansehen, Stand und Alter nimmt.
Die diesjährige Neuinszenierung unter Michael Sturminger war gelungen. War, weil am 28. August zum letzten Mal so eindrucksvoll in der Domstadt gestorben wurde. Zumindest für dieses Jahr….
Einen Gutteil zum Gelingen trug Tobias Moretti in der Hauptrolle bei. Zurecht wurde er vom Publikum mit frenetischem Applaus und Standing Ovations gefeiert.
Peter Lohmeyer begleitet bereits seit mehreren Jahren den Jedermann ins Reich der Toten und es scheint, als würde er von Jahr zu Jahr noch besser werden. Warum allerdings der „Jedermann“ auch nicht mehr ohne seine Conchita Wurst auskommt, bleibt unverständlich. Der Tod als Dragqueen, die Pumps nach ihrer Kundschaft schmeißt. Der Sinn bleibt verborgen und die Suche danach ist zu müßig.
Dass die gesamte Handlung in die Jetzt-Zeit versetzt wurde, hat allerdings ihren Reiz. Jedermann ist ein neureicher Prolet, dessen Kontostand und Selbstüberschätzung sich die Waage halten. Der arme Mann, der in den Schuldturm muss, erinnert an die vielzähligen ehemals wohlhabenden Spitzenmanager und Politiker, die sich dann aber vor dem Strafrichter wieder finden. Dementsprechend hält sich das Mitleid mit diesem Mann und seiner Familie auch in Grenzen.
Eine der wohl bedeutendsten Nebenrollen der Welt ist Zweifelsohne die Buhlschaft. Stefanie Reinsperger ist vom optischen her sicher ein neuer Typ Frau, auch wenn er zu Rubens Zeiten als Innbegriff der Sinnlichkeit galt. Das hochgradig sexuelle Wesen kauft man dieser Buhlschaft leider nicht ab. Es scheint, als wäre sie eine Freundin zum Pferdestehlen, aber das innere Feuer lodert auf sehr kleiner Flamme.
Das Ausstattungsteam rund um Renate Martin und Andreas Donhauser scheint allerdings etwas gegen Stefanie Reinsperger zu haben. Das schweinchenrosa Volantkleid ist unvorteilhaft und lediglich dazu geeignet, die schauspielerischen Schwächen der Mimin zu unterstreichen. Keine Frau sollte einen derartigen Albtraum tragen müssen.
Im Kontrast dazu stehen das Tattoo-Shirt des Todes, das seinen Charakter hervorragend betont und das Patienten-Outfit des kränkelnden, schwachen Wesens, der Werke, gespielt durch eine großartige Mavie Hörbiger.
Eindrucksvoll ist das Schlussbild, als der Jedermann gestärkt und befreit vom irdischen Ballast durch den Glauben (Johannes Silberschneider) nicht nur ruhig dem Tod entgegen geht, sondern ihn umarmt und leidenschaftlich küsst.
Schauspieler, Inszenierung und Bühnenbild ergeben ein stimmiges Ganzes. Eine alte Geschichte wird immer neu erzählt, bleibt immer aktuell und hält uns die eigene Vergänglichkeit als Durchreisende auf dieser Welt vor Augen. Und die wahren Werte? Auch im nächsten Jahr wird der Jedermann sie zu spät erkennen und wir dürfen dabei sein, wenn der reiche Mann wieder stirbt.
KWH