Was bedeutet es, eine Frau zu sein? Dem Mann treu zu dienen, rein und unschuldig zu sein, nichts zu empfinden?
Die grausame Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung, verharmlost auch "Beschneidung" genannt, soll diese falschen Tugenden gewährleisten.
Pro Tag werden run 6000 Mädchen beschnitten, die meisten davon in Afrika. Weltweit leben schätzungsweise 100 bis 140 Millionen Frauen mit den Folgen weiblicher Genitalverstümmelung. Sie empfinden nichts oder nur Schmerzen beim Sex, müssen mit schwerwiegenden psychischen und physischen Problemen, die durch das Trauma der Verstümmelung entstanden sind, leben. Auch in Asien ist die Praxis verbreitet, die Datenlage jedoch sehr mangelhaft.
Unvorstellbarer Schmerz
Als Säuglinge, Kleinkinder oder im Teenageralter werden die Mädchen in einer grausamen Zeremonie ihrer sensiblen Geschlechtsteile entledigt. In Afrika gibt es einen eigenen Berufszweig, meistens sind es hoch angesehene Frauen, die diese qualvolle Verletzung durchführen. Dabei verwenden sie Rasierklingen, Messer oder Steine. Desinfektions- und Betäubungsmittel werden nicht eingesetzt. Man mag sich die Schmerzen, die den Mädchen dabei zugefügt werden, gar nicht vorstellen. Viele werden dabei ohnmächtig oder sterben.
Die Art der Beschneidung variiert von Land zu Land. Während in manchen Ländern „nur“ die äußerlich sichtbaren Teile der Klitoris teilweise oder vollständig entfernt werden, werden in anderen zusätzlich die inneren und/oder äußeren Schamlippen entfernt. Eine besonders grausame Praxis ist die „Infibulation“. Dabei werden die äußeren Genitalien teilweise oder vollständig abgeschnitten und nur eine minimale Öffnung für den Austritt von Urin und Menstruationsblut übrig gelassen. Das Wasserlassen und die Periode werden danach zur Qual, beim Sex muss die Öffnung jedes Mal neu aufgeschnitten werden, wenn sie sich durch die Penetration nicht weit genug öffnen lässt. Besonders gefährlich ist eine Geburt, die nicht selten zum Tod von Mutter und/oder dem Kind führt.
Kein religiöser Ursprung
Die Gründe für die weibliche Genitalverstümmelung liegen nicht, wie fälschlicherweise oft angenommen oder behauptet wird, in der Religion. Obwohl hauptsächlich in muslimischen Kulturen praktiziert, gibt es keine Passage im Koran, die die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane vorsieht. Vielmehr handelt es sich dabei um ein kulturelles Ritual, hervorgegangen aus patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, die die Frau als minderes Wesen, das dem Mann unterstellt ist, betrachten. Sie soll keine Lust empfinden, denn sie soll rein und unschuldig bleiben. An Sex darf sie keinen Gefallen finden, sie könnte ihrem Mann untreu werden. Deshalb wird ihr die Libido genommen.
Von eigener Mutter verraten
Zusätzlich zum Schmerz und der Ohnmacht, kommt das Gefühl, verraten worden zu sein: Von der eigenen Mutter, die selbst durch diese Tortur ging und nun ihre Tochter dasselbe durchleiden lässt. Oft wird der Mangel an Bildung dafür verantwortlich gemacht, doch fühlt eine Mutter nicht, dass es falsch ist? Für uns Europäerinnen wäre es nicht vorstellbar, die eigene Tochter so leiden zu lassen.
Interview mit Betroffener
Die-frau.at hat mit einer Betroffenen gesprochen: Ethenesh Hadis, Leiterin der African Women Organisation in Wien, ist selbst Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung, im Fachjargon Female Genital Mutilation (FGM) genannt. Im Alter von nur 45 Tagen wurden ihr die äußeren Schamlippen entfernt. Ethenesh ist verheiratet, hat Kinder. Bei der Geburt gab es keine Komplikationen, doch beim Sex fühlt sie nichts. Einen Orgasmus durfte sie also nie erleben, durfte niemals spüren, wozu ihr Körper in der Lage wäre.
Seit 19 Jahren lebt sie nun schon in Österreich und kämpft gegen die grausame Praxis der Verstümmelung. Wie kann sie Betroffenen helfen? „Aufklärung und Information sind das Wichtigste. Wir versuchen die Menschen in den Communities zu erreichen, um sie darüber aufzuklären, dass diese Praxis nur Negatives bringt.“
Sex als Tabuthema
Doch noch immer trauen sich die Frauen nicht, darüber zu sprechen. Denn Sex und alles was damit zu tun hat, ist ein Tabuthema. „Wir reden hier aber nicht nur über die Beschneidung, sondern grundsätzlich über alle Themen, die für eine erfolgreiche Integration wichtig sind. Dem Thema Beschneidung nähern wird uns sehr vorsichtig.“
Das größte Problem in Afrika ist, dass es einen Mangel an Informationen gibt. Das Thema Sex wird dort noch stärker tabuisiert als in den afrikanischen Communities in Europa. „Doch gerade darüber zu sprechen, ist entscheidend für Aufklärung. Es ist nicht ausreichend, Gesetze zu erlassen und zu kriminalisieren. Die Menschen müssen lernen, dass es falsch ist, und sie müssen davon überzeugt werden, dass diese Tradition die Mädchen in vielerlei Hinsicht schädigt. Schließlich handelt es sich um eine tief verwurzelte, Jahrtausende alte Tradition, die so viele Generationen überdauert hat. „Solche Werte zu verändern passiert nicht von einem Tag auf den anderen. Es ist ein lange andauernder Prozess.“ Die größte Angst, die die Menschen haben, ist die soziale Ausgrenzung. „Meine Tochter wird keinen Mann finden, der sie heiratet, wenn sie nicht beschnitten ist“, bekommen wir oft zu hören, so Hadis.
Dabei ist es besonders wichtig, den Mann, als Oberhaupt der Familie, zu überzeugen. „Wenn du einen Mann veränderst, dann veränderst du die gesamte Gesellschaft. So ist es bei uns in Afrika. In China ist es anders, da heißt es: Belehrst du eine Frau, belehrst du die ganze Familie“, erklärt Hadis.
FGM in Österreich
Ob in Österreich die Praxis durchgeführt wird, kann sie nicht genau sagen, denn es gibt keine konkreten Beweise. Vor einigen Jahren hat sie jedoch mit Hilfe der Zeitschrift „Profil“ einen Fall aufgedeckt, bei dem ein Wiener Arzt einer Beschneidung zugesagt und vorbereitet hatte. Schätzungen zufolge leben ca. 8000 Opfer weiblicher Genitalverstümmelung in Österreich, die meisten von ihnen wurden in ihren Herkunftsländern beschnitten. Einer Studie aus dem Jahr 2000 zufolge, haben 30 Prozent der in Österreich lebenden Eltern mit afrikanischer Herkunft bereits FGM bei ihren Töchtern durchgeführt oder planten, dies zu tun.
Andere schmerzhafte Traditionen
Hadis ist überzeugt, dass diese Praxis eines Tages ein Ende haben wird. Ihr ist jedoch auch wichtig, auf die vielen anderen schmerzhaften Traditionen hinzuweisen, wie zum Beispiel Kinderheirat oder körperliche Verunstaltung aus ästhetischen Gründen, die in Afrika und anderen Ländern auf der ganzen Welt durchgeführt werden. All diese Traditionen beeinträchtigen nicht nur den einzelnen Menschen, sondern die Entwicklung eines ganzen Landes. Afrika wäre heute vielleicht kein Entwicklungsland, wenn Frauen nicht durch Verstümmelung und Unterjochung ihrer Entwicklungsfähigkeit beraubt würden. Schmerzhafte Traditionen ermöglichen keine Weiterentwicklung, Produktivität oder Bildung. Sie führen zu Rückschritt, Isolation und Unfähigkeit, denn sie erlauben dem Menschen nicht, sich frei zu entfalten.
Foto: Steve Evans
(MF, SB)