Man geht durch die Vagina einer nackten Riesin mit Bischofsmütze in die Ausstellung von Marc Lagrange in einer aufgelassenen Werkshalle. Leicht wird übersehen, dass sich in den beiden weit auseinander strebenden Brüsten des Models eine Nonnenkutte andeutet. Und in der nett behaarten Scham die Schnecken-Spitze eines Bischofsstabes.
Anfangs erregen die großformatigen Abbildungen von tollen Brüsten, Taillen und Ärschen. Die Erotik pur und die blanke Schönheit der Frauen aber weicht bald einem umfassenderen Blick, der erkennt, dass sich die Nacktheit allmählich in das Thema der Aufnahmen hinein verwebt und sublimiert wird. Dementsprechend gabelt sich die Ausstellung zu zwei Richtungen:
Zum ersten sind es die Großaufnahmen von weiblichen Oberkörpern und Gesichtern, die in ihren gelungensten Beispielen mal zauberhafte, mal wütende weibliche Charakterköpfe erschaffen. Z.B. das äußerst ebenmäßige und feingliedrige Gesicht einer Afrikanerin mit einem weißen Hütchen aus Papierstreifen. Zum zweiten eine Art von Genrebildern, bei denen das nackte Model nur den deutlich kleineren Teil der Aufnahme einnimmt, während der Großteil eine charakteristische Szene darstellt – ein Setting wie in einem Film. Z. B. das Foto Moon Beach, wo zwei Felstürme das Bild beherrschen. Oben laufen ihre Plateaus horizontal spitz aufeinander zu, unter ihnen ist nichts. Und genau auf diesen zwei weit überhängenden Spitzen hocken zwei Frauen, die eigentlich nur einen kleinen Bildanteil einnehmen. Durch den Kontrast zur urtümlichen Landschaft und ihre Position quasi 10 cm vor dem Nichts, ziehen sie die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Manch parodistisches Genrebild ist auch dabei, etwa bei Sachertörtchen hopsen die Nackedeis unter hohen (Zuckerbäcker-)Perücken um die Tortenstücke herum. Manch Häretisches auch wie Supper I („Das letzte Abendmahl“), bei dem sich einem verdutzten Jesus zwölf entblößte ApostelInnen auf dem Tisch herumwinden.
Kontrast Stahlhärte – Weichteile
Die anfänglich erregende Bloßstellung der ganzen schönen Körperteile geilt sich quasi herunter. Auch wird die Schamgegend fast immer weggeblendet oder mit Lätzchen überdeckt. Lagrange fotografiert nicht so knisternd erotisch und erregend wie Helmut Newton. Man sieht dauernd unwiderstehliche Brüste und hübsche Gesichter – riecht aber statt Parfums oder dem gelinden Milchfluidum weiblicher Brüste oder gar würzigen Essenzen aus den weiblichen Vaginen den schmierigen, öligen, metallenen Geruch einer alten Stahlwerkshalle. Es scheint, als ob der Geruch mit den Bildern der Nackten zu einer Anschauung des Busens als eines guten alten Lusthebels zusammenfließen würde. Blickt man von den weichen menschlichen Formen plötzlich auf einen wuchtigen herabgelassenen Kranhaken, kann man nur schwer vermeiden, über diesen Hammer an einen frühen Film von David Lynch zu denken. In „Eraserhead“ versorgt ein gepflegter Freak in einer ebenfalls aufgelassenen Fabrikhalle ein verunstaltetes Baby. Kaum mag man den Kranhaken für eine Last von 30 Tonnen mit einem prallen Penis assoziieren.
Die Individualität der Models wird durch die spezielle „Pose“ angezeigt, während hingegen bei den standardisierten Stellungen der Frauen im Playboy etc. die Nennung des Namens des Playmates für den individuellen Aspekt sorgen. Wer 5500 € lustvoll anlegen will, kann sich das neue Fotobuch von Lagrange im Format 100 x 60 cm (!), Gewicht etwa 50 Kg (!) kaufen. Viele der Ausstellungsbilder kehren darin wieder.
In Summe stellt sich beim Betrachter ein wohl temperiertes Lustgefühl ein. Keine Affentittengeilheit. Keine moralische Aufregung. Mit Sloterdijk zu sprechen: Der Busen ist das exemplarische Erotikum des Kapitalismus.
Meine Kollegin bekrittelte die Zuschaustellung der nackten Frauen für die männliche Kamera. Ich stimmte ihr zu, wenn auch aus einer neutralen Kunst-Perspektive: Wann werden Frauen Männer so fotografieren?