Der Film „Children of Sarajevo“ ist im Programm des Cannes Film Festivals – Un certain regard. Es handelt sich um die Nachwirkungen des Krieges in Sarajevo auf die junge Generation. Die Hauptrolle hat eine junge Frau namens Rahima (Marija Pikic), die alles für ihren Bruder Nedim macht, der straffällig wird.
Die-Frau.at durfte mit Regisseur Aida Begic ein Interview führen.
Sandra Bakula: Ist das Ihr erstes Mal auf dem Cannes Film Festival?
Aida Begic: Nein, eigentlich das dritte Mal. Ich hatte einmal einen Kurzfilm und dann einen Hauptfilm. Und ich war auch mit „Snow“, auf dem Cannes Film Festival, „Critic´s Week“.
SB: Wie groß war das Budget für den Film „Children of Sarajevo“?
AB: Das war eine Koproduktion. In Bosnien gibt es nur einen Fond, und es ist schwierig Geld für Filme zu bekommen. Wenn das Jahr gut ist, gibt es maximal 1 Million. So waren wir auf eine Koproduktion aufgewiesen, was im Endeffekt nicht schlecht ist, denn man bekommt Gelegenheit neue Menschen kennen zu lernen, was auf der anderen Seite heißt –man muss viel Zeit und Kraft investieren.
SB: Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
AB: Als ich an dem Film „Snow“ gearbeitet habe, dessen Handlung im Jahr 1996 stattfindet, gleich nach dem Krieg, wo wir alle an eine Rekonstruktion des Systems geglaubt haben - der Krieg war fertig, und wir dachten besser Zeiten kommen, aber es hat sich nichts geändert - und so kam ich auf die Idee für den Film. Und mit diesem Film will ich hinterfragen, was passiert ist. Was ist aus diesem Traum geworden? Diese unendliche Gegenwart dauert noch immer, und wir haben aufgehört zu träumen. Das Konzept der Zukunft existiert nicht mehr, und genau das Ganze reflektiert sich in der jungen Generation. Die Kinder, die zu Beginn des Krieges sehr jung waren, (z.B. Rahima und Nedim, die ihre Eltern verloren haben) und ganz unten auf der sozialen Leiter sind. Und genau die sollten im Fokus sein.
SB: Man bekommt das Gefühl, dass Rahima kein Problem lösen kann, dass sich nur im Kreis dreht, und wenn sie versucht etwas zu lösen, es nur schlimmer wird...
AB: Genau, weil das System so funktioniert. Statt die Kinder zu unterstützen, wirkt das Systemgegen sie. Und das Resultat daraus ist Korruption, kriminelle Handlungen etc. Ein System, das jungen Leuten die Botschaft übermittelt, dass das einzige, was sich auszahlt, kriminell zu sein ist, dass das einzige Option ist, tragen viele auch Waffen mit sich. Es ist eine alarmierende Situation und ich bin der Meinung, wir nehmen sie nicht ernst genug, es gibt keine Mechanismen, die dagegen kämpfen würden. Das sind unsere Kinder, und es ist unsere Verantwortung, für sie eine bessere Welt zu schaffen. In Sarajevo sind viele Museen und Galerien geschlossen, weil es kein Geld gibt, und die Politiker können keine Kompromisse finden. Natürlich hinterlässt das alles Spuren. Die jungen Menschen sehen keine Hoffnung, und greifen zu drastischen Maßnahmen, weil es keine konstruktive Option gibt. Ich habe während der Vorbereitung für den Film viel Zeit mit jungen Menschen verbracht, habe verschiedene Workshops zum Thema „Aggression“ besucht und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir sehr viele talentierte Kinder haben.
SB: Sie haben erwähnt, dass Rahima von anderen vorverurteilt wird, weil sie das Kopftuch trägt? Ich dachte in Sarajevo ist das kein Thema...
AB: Im Film ist das nicht das Hauptthema. Ich wollte nicht das Kopftuch zum Hauptthema machen - ich trage es auch, und mir kam es logisch vor, dass sie es auch macht, dass sie diese Welt präsentiert, meine Welt. Auf der anderen Seite ist das ein Thema, über das jeder eine Meinung hat, egal ob es positiv oder negativ ist - es ist ein Urteil. In Sarajevo wie auch überall ist das ein Thema. Manchmal denke ich, dass es in Sarajevo noch schwieriger ist als wo anders, wie z.B. in Frankreich, wo es viele Frauen mit Kopftuch gibt. Vielleicht haben die Franzosen eine Situation geschaffen, in der diese zwei Welent nicht viel in Kontakt kommen. In Bosnien kam das nach dem Krieg, und viele junge Frauen haben die Entscheidung getroffen, das Kopftuch zu tragen. Konkret im meinem Fall war meine Famiele dagegen, und viele waren der Meinung, dass ich jetzt zu Hause sitzen sollte, mich um die Kinder kümmern sollte und das ist alles. Vor allem, dass ich nicht arbeiten sollte. Eine Frau mit Kopftuch ist wie alle anderen, außer, dass sie gewisse Postulate einnimmt, und sie würde gewisse Sachen nicht tun. Die Unterschiede zwischen Frauen mit Kopftuch und ohne Kopftuch sind minimal.
SB: Und warum hat sich Rahima für das Kopftuch entschieden? Ihr wurde die Frage im Film gestellt, die sie nicht beantwortet hat.
AB: Ja, sie hat es ironisiert. Man sieht im Film, dass Rahima zwei Optionen hatte - sie war ein Kind, das im Weisenhaus aufgewachsen ist, und um nicht tiefer zu gehen, brauchte sie eine stabile Variable, die sie in der Religion gefunden hat. Und das hat ihr geholfen, einen Job zu finden, ein Haus und im Endeffekt für ihren Bruder da zu sein.
SB: Im Film kommt es so heraus, als ob sie kein eigenes Leben hätte.
AB: Ja, sie hat ihre Jugend, ihre Schönheit für ihren Bruder geopfert, der überhaupt nicht versteht, was das für ein Opfer war, er gibt ihr sogar für alles die Schuld, was ja typisch für einen Teenager ist. Es ist die Geschichte über eine zerbrochene Familie, und sie wissen, wenn sie sich nicht gegenseitig unterstützen, wird es niemand tun.
SB: Im Film Tarik versucht ihr näher zu kommen, aber sei stoßt ihn ab
AB: Ich wollte nicht dass es die „Hilfe“ von draußen kommt, ich wollte dass sie sieht dass das Problem auch in ihr ist. Sie versteht nicht dass sie ihn zurücksetzt in dem dass sie ihm das Beste wünscht.
SB: Sie ist meiner Meinung nach zu gut zu ihm, es gibt keine Grenzen..
AB: Ich habe keine persönliche Erfahrung mit Teenagern, aber wenn ich es mir vorstelle, kann ich sehen, dass die Situation sehr gefährlich sein kann. Sie versucht, die Situation zu kontrollieren, aber er schafft es, ihr zu entkommen. Alle Teeniger sind so, egal ob sie aus reichen Familien kommen oder nicht.
SB: Können Sie uns noch kurz etwas über den Film sagen, und die Menschen, die mitgearbeitet haben?
AB: In diesem Film wird eine ganze Generation von jungen Schauspielern vorgestellt. Marija Pikic ist dabei, und viele, die noch auf der Akademie sind, wie auch einige, die mit mir bei meinem ersten Film mitgemacht haben, die ich seit Jahren kenne, und das macht mich sehr glücklich.
SB: Und noch eine Frage: Was bedeutet Rahimas Traum, der im Film vorkommt?
AB: Ich wollte eine Widmung für Maya Deren in den Film einbauen, die sich in einem ihrer Kurzfilme mit dem Thema „Kopftuch“ beschäftigt, und die Frau, die das Kopftuch trägt, stellt sich den Tod vor. Das ist ein Traum, in dem Rahima sich sucht, und durch diesen Spiegel versteht sie, dass die Lösung in ihr selbst iist.
Sandra Bakula
Photo: Cannes Film Festival, 2012