Den 68ern war immer schon klar, dass Heintjes Hit „Mama“ kein entzückendes Liedchen war, sondern der Schrei einer ganzen Generation, die auf der Suche nach der Mutter war. Nicht umsonst war das Lied die meistverkaufte Single im Jahr 1968 in Deutschland. Dieses fast gebrüllte „Mama“ im Refrain war ein verzweifelter Schrei nach Hilfe und Liebe einer im Gefühlschaos versinkenden Generation, die zwar BHs verbrannte, aber eigentlich nur aus dem Nest gefallen war und keinen Weg mehr dorthin fand. Vielleicht lässt sich auch damit das Aufkommen der Kommunen erklären, weil sie alle das verlorene Paradies der Familie und des Nestes wieder erleben wollten, was ihnen bekanntlich nicht gelingen wollte.
Die Kommune I wurde dezidiert als Gegenmodell zur verabscheuten bürgerlichen Kleinfamilie gegründet. Nur was bedeutet das? Die Kommune I war der Versuch der Etablierung einer neuen Art der Großfamilie, wie sie im ländlich-bäuerlichen Bereich früher üblich war. Man kann das Rad eben nicht immer neu erfinden.
Die Vaterlosen
Vor einiger Zeit brachte der belgisch-ruandische Rapper und Musikproduzent Stromae seine Single „Papaoutai“ auf den Markt. „Papaoutai“ ist eine Art phonetische Version von „Papa, où es-tu?“, was übersetzt bedeutet, „Papa, wo bist du?“.
In diesem Lied heißt es unter anderem: „Jeder weiß, wie man Babys macht, aber niemand weiß, wie man Väter macht.“ („Tout le monde sait comment on fait les bébés Mais personne sait comment on fait des papas“)
In diesem Lied spiegelt sich unsere Gesellschaft der vaterlosen Kinder wider. Sei es, wie Stromae es besingt, weil die Väter andauernd weg sind, in der Arbeit, mit Freunden, auf Geschäftsreise etc. oder weil die Väter auf Grund von Scheidung sich nicht nur faktisch aus dem Leben ihrer Kinder entfernen, sondern auch per Gerichtsbeschluss.
Wir sind die Vaterlosen. Uns wird nicht einmal die Möglichkeit gelassen, zu glauben, unser Vater sei mit Heldentaten befasst und kann daher nicht bei uns sein, obwohl er nichts lieber als das tun würde. Nein. Es ist ihm einfach egal. Egal, weil zig andere Dinge wichtiger sind.
Die Mütter sind aber ebenso weg und so kommt es, dass wir abgesehen vom Vater auch die Nestwärme vermissen. In einer Großfamilie wäre immer jemand da, der sich um uns kümmert und für uns da ist. Die Kleinfamilie aber als exklusiver Mikrokosmos, dessen Motto frei nach türkischen Türstehen zu lauten scheint: „Du kommst da net rein!“, unternimmt wahre Kraftakte, damit sie unter sich bleibt. Nur, was passiert, wenn sich ein Teil der Kleinfamilie davon stiehlt? Sie zerbricht unweigerlich. Es gibt kein soziales Sicherheitsnetz und die künstlich erzeugte Exklusivität kommt als Boomerang in Form der Isolation und Einsamkeit zurück.
Der Grundgedanke der Kommune I war richtig, wenn sich auch die Ausführung als mangelhaft erwies. Die 68er erkannten, dass die bürgerliche Kleinfamilie kein Erfolgsmodell ist, da sie unglückliche Kinder, so wie sie es waren, hervorbringt.
Auch wenn die bürgerliche Kleinfamilie nicht zuletzt dank der mittlerweile stockbiederen 68er überlebt hat, so bedeutet dies nicht, dass sie sich bewährt hat. Sie bringt nach wie vor und immer mehr (allein die Scheidungsraten sprechen für sich) unglückliche Kinder hervor und dieser Tatsache werden wir uns früher oder später massiv stellen müssen.
Ebenso werden wir erkennen, dass die Altvorderen doch vieles richtig gemacht haben und wir sollten uns überlegen, ob es nicht die bessere Variante ist, Tür und Herz wieder zu öffnen und es mit der Großfamilie aufzunehmen. Mit all ihren Vor- und Nachteilen.
Das würde uns wohl viele (erwachsene) Kinder sparen, die ihre Väter suchen und dabei nach ihrer Mutter schreien.
KWH
Fotos: Universal Music