08.07.2011 |
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Paris – immer eine Zeitreise wert
Woody Allens „Midnight in Paris“ zeigt den Zauber einer zeitlosen Stadt
Die Straßen von Paris. Sehenswürdigkeiten, Cafés, Passanten, malerische Gässchen.
Die Eingangssequenz von „Midnight in Paris“ macht schnell klar,
wohin die Reise geht – mit minutenlangen Stadt-Impressionen, die
„Amelie“ alt aussehen lassen.
Kurz darauf gesellen wir uns, wie bei Woody Allen bereits klassisch, an einen
Restaurant-Tisch zu zwei Pärchen, die lebhaft diskutierend
beieinander sitzen. Die Charaktere sind schnell etabliert: Vier
Amerikaner, die es nach Paris verschlagen hat. Da wäre zum einen Gil
(Clive Owen), unser Held, ein grundsympathischer, etwas verträumter
Autor mittelmäßiger Hollywood-Drehbücher, der sich an seinem
ersten Roman versucht. Und zum anderen seine Verlobte Inez (Rachel
McAdams), ihr republikanisch gepolter Vater und ihre schnöselige
Mutter. Drei gegen einen – denn Mutter, Vater, Kind können den
idealistischen Gil, den unverbesserlichen Romantiker, nicht so recht
verstehen. Wer schwärmt denn allen Ernstes davon, im Pariser Regen
spazieren zu gehen? Schon wieder eine seiner typischen absonderlichen
Ansichten, die er ihrer Meinung nach in allen Lebensbereichen
vertritt. Während Gil, der „Kommunist“, noch durch Politisieren
mit dem zukünftigen Schwiegervater für erste Lacher sorgt, gesellt sich
ein weiteres Pärchen hinzu: Der besserwisserische Paul, seines
Zeichens der Ex von Gils Verlobter, der selbst der Reiseführerin (Carla Bruni) stets zu widersprechen versucht, und seine farblose Freundin.
So weit, so bekannt. Eine romantische Komödie wie viele andere, nicht weiter ungewöhnlich. Was jedoch derart harmlos beginnt, nimmt bald eine
überraschende Wendung ins Surreale, als sich Gil, wie von Inez
prophezeit, eines Abends auf dem Heimweg verirrt und um Mitternacht
an einer einsamen Straßenecke strandet. Denn der schnittige
Oldtimer, der plötzlich um die Ecke biegt, ist prall gefüllt mit
freundlichen, leicht altmodisch gekleideten Menschen – und
entpuppt sich als eine Art moderner DeLorean, der unseren Helden
nicht nur auf eine Party, sondern auf einen Trip der gänzlich
unerwarteten Art mitnimmt.
So stellt sich ihm alsbald ein junges Pärchen als „die Fitzgeralds“ vor, was ihm
vorerst nicht weiter bemerkenswert erscheint – bis er kurz darauf
Hemingway gegenübersitzt. Ja, Ernest Hemingway, der jede Menge
Bonmots über Krieg, echte Männer und eifersüchtige Autoren zum
Besten zu geben weiß. Und nein, er selbst kann keinen Blick auf Gils
Roman-Erstling werfen – doch er versichert, das Gertrude Stein
(die wunderbare Kathy Bates) das mit Vergnügen tun würde.
Während im Hintergrund der echte Cole Porter am Klavier brilliert,
kann Gil sein Glück kaum fassen. Doch dann unterläuft ihm ein
leider nur zu gängiger Fehler ungeübter Zeitreisender: Er verlässt
Hals über Kopf das Lokal, um sein Manuskript zu holen, bevor der
launische Nobelpreisträger in spe es sich anders überlegt. Und als
er sich umdreht, ist der zauberhafte Ort verschwunden.
Natürlich braucht unser findiger Held nicht allzu lange, um zu realisieren, dass es just der magischen Kombination „Schlag Mitternacht und um die Ecke
biegender Oldtimer“ bedarf, um sich wieder in die goldenen
Zwanziger zu katapultieren. Und tut es daraufhin wie im Rausch jede
Nacht, wobei er von Picasso bis Dalí, von T. S. Eliot über
Joséphine Baker bis hin zu Man Ray das Who is Who der damaligen Kunstszene trifft.
An Gils Nostalgie-Euphorie, die auch in seinem Roman eine zentrale Rolle spielt, zeichnen sich infolgedessen die großen, unvereinbaren Gegensätze zwischen ihm und Inez ab, die verschiedener nicht sein könnten. Während er hüben wie drüben das gepflegte Gespräch und die geistige Anregung sucht, stets bewusst genießen und erleben will, wirkt sie spießig, materialistisch, in Konventionen gefangen und stets auf der Suche nach kurzweiligem Vergnügen ohne viel Tiefgang.
Die wenig Phantasiebegabte hat für Gils Hirngespinste nicht das
geringste Verständnis und unterstellt ihm auf seine Andeutungen hin,
was er im nächtlichen Paris alles erlebt habe, kurzerhand einen
Hirntumor.
Kein Wunder, dass sich Gil Hals über Kopf nicht nur in die, sondern auch in den
Zwanzigern verliebt. Die Romanze mit der jungen Adriana (Marion
Cotillard) entspinnt sich zwar zaghaft, aber frei nach dem Motto: Ist
es ein anderes Jahrhundert – um nicht zu sagen Jahrtausend –, ist
es auch kein Betrug. Da trifft es sich fast schon gut, dass die
eigene Verlobte ihrerseits nur allzu gern jede Nacht mit dem
Nebenbuhler Paul tanzen geht.
Gil erkennt auf seiner Zeitreise schnell, dass die Gegenwart nun einmal per
definitionem eintönig ist. Denn in den Zwanzigern ist immer was los:
Da will Zelda Fitzgerald vor dem Selbstmord gerettet und so manche
andere Anekdote, die es später in die Geschichtsbücher schafft,
selbst miterlebt sein. Es ist sogar gut möglich, dass sich unter
solchen Umständen noch weitere Zeitfenster auftun.
Wie Gil schließlich trotzdem zu der Erkenntnis gelangt, dass in der verklärten
Vergangenheit auch nicht alles Gold ist, was glänzt, und warum er
sich letztlich für die Präsenz im Präsens entscheidet, das sollte
man sich selbst anschauen.
"Midnight in Paris“ ist ein netter, leichtfüßiger Film, der Zeit und Raum
vergessen lässt. Eine Art „Bill and Ted“ für Erwachsene, der
vor allem mit der Spannung zu bestechen weiß, welcher Celebrity aus
Kunst und Kultur als nächstes auftauchen mag. Schade, dass so manche
Begegnung mit Zeitgenossen, deren Name auf die Frage nach dem
Lieblingspartner für den Jenseits-Lunch zuverlässig fallen würde,
nicht mehr Tiefgang hat und sich zumeist in der ungläubigen
Bewunderung eines Künstler-Groupies erschöpft. Ansonsten eine
relativ vorhersehbare Liebeserklärung an eine großartige Stadt –
jede Menge gutmütige Lacher inklusive. Nicht der beste Woody Allen.
Aber definitiv sehenswert und immer noch um Welten besser als alles,
was das sonstige Hollywood uns gerne für Unterhaltung verkauft.
Ab 19.08.2011 im Kino.
(dh)
Bilder: © Concorde Filmverleih GmbH