Eine 32-jährige Frau wurde vom Notarzt in die Psychiatrie eingewiesen, nachdem sie der Polizei gemeldet hatte, sie habe ihr zehn Wochen altes Kind getötet. Die Mutter eines siebenjährigen Sohnes und einer fünfjährigen Tochter gab an, das Baby, ein Mädchen, habe von Anfang an viel geschrien und Probleme beim Stillen gemacht. Sie, die Mutter, sei erschöpft und verzweifelt gewesen, vor allem, weil das Kind nicht richtig zunahm und sie sich schuldig fühlte. Sie merkte, dass sie wieder in eine Depression rutschte (wie nach der ersten Entbindung). Bald drehten sich ihre Gedanken darum, wie sie das Kind loswerden könnte. Sie bat ihren Mann, es adoptieren zu lassen. Dieser war nach einem langen Gespräch der Überzeugung, dass sie wieder Mut gefasst hätte und es ihr in der Folge besser ginge. Die Patientin dagegen fühlte sich völlig erschöpft. Gedanken an einen erweiterten Suizid kamen auf, die sie jedoch wegen der beiden größeren Kinder verwarf. In der zehnten Woche nach der Geburt erstickte sie das Kind mit einer Windel während des Stillens.
Beziehungsstörungen der Mutter dem Kind gegenüber sind bei depressiven Frauen nicht selten. Das Risiko für Übergriffe auf das Kind scheint zuzunehmen, wenn schwere Erschöpfung und Beziehungsstörungen zusammentreffen. Wichtig neben der Behandlung der Depression ist eine interaktionale Therapie zum Aufbau einer positiven Mutter-Kind-Beziehung. (EH)
Hornstein C et al.: Infantizid als Folge einer postpartalen Bindungsstörung. Nervenarzt 78 (2007) 580-583 (Anschrift: Dr. C. Hornstein, Psychiatrisches Zentrum Nordbaden, Lehrkrankenhaus, Heidelberger Strasse 1a, 69168 Wiesbaden)
Quelle: Praxis-Depesche 02/2008
Wie können Kindstötungen verhindert werden?
Ein erster Ansatz wäre eine genaue Hinterfragung durch den behandelnden Psychiater. Einer neuen Studie zufolge berichten 41% der depressiven Frauen mit Kindern unter drei Jahren über Tötungsgedanken. Fast drei Viertel der Mütter, die ihr Kind / ihre Kinder umbringen, sind zum Zeitpunkt der Tat in psychiatrischer Behandlung.
Über 200 Psychiater in den USA wurden mittels Fragebogen zu ihrem Wissen und Umgang mit dem Thema befragt.
Mehr als die Hälfte der Ärzte schätzte die Zahl der potenziellen Täterinnen mit weniger als 25% deutlich zu niedrig. Weniger als ein Drittel tippte richtig auf 25 bis 50%. Dabei wollten nur etwas 70% von ihren Patientinnen überhaupt wissen, ob sie Kinder in ihrer Obhut hatten. Die meisten fragten wenn, dann nur nach allgemeinen Tötungsabsichten, weniger als 50% auch nach filicidalen Gedanken, und nur 20% sprachen das Thema bei jedem Kontakt an. Suizidale Mütter wurden eher auf derartige Ideen angesprochen als psychotische. Über die Medien bekannt gewordene spektakuläre Fälle von Kindstötungen veranlassten einen Großteil der Ärzte, von da an routinemäßig nachzufragen, während 16% trotz der Berichte weiterhin ganz darauf verzichten.
FAZIT: Offenbar sind sich viele Psychiater nicht bewusst, wie häufig psychisch kranke Mütter daran denken, ihre Kinder zu töten. Sie sollten besser über die Prävalenz solcher Ideen wissen und sich vor allem trauen, regelmäßig danach zu fragen. (DS)
Friedmann SH et al.: Psychiatrists’ knowledge about maternal filicidal thoughts. Compr Psychiatry 49 (2008) 106-110 Bestellnummer der Originalarbeit 080168
Quelle: Praxis-Depesche 03/2008