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Drei Jahre unterwegs - Wandergesellen
20.06.2010
Das Wandern ist des Müllers Lust? Nicht nur! Seit vielen hundert Jahren machen sich Gesellen nach ihrer Lehrzeit auf den Weg, um neue Städte und Länder kennen zu lernen, um dabei neue Arbeitspraktiken zu erlernen und an Lebenserfahrung zu gewinnen. Diese Wanderjahre nennt man auch Walz oder Tippelei.

Im 18. Jahrhundert war es für jeden Gesellen einer Zunft Pflicht, auf Wanderschaft zu gehen, vorher durfte man sich nicht zum Meisterstück anmelden. Heute ist die Tippelei freiwillig und findet dennoch viele Anhänger. Es gibt keine genauen Zahlen, aber es sind schätzungsweise 600 bis 800 Personen, entweder frei reisend oder in Schächten organisiert, unterwegs. Der Frauenanteil liegt bei 5 bis 10%. Es ist noch nicht so lange her, da war es für Frauen nur als Freireisende möglich, auf Wanderschaft zu gehen, heute gibt es Schächte bzw. Gesellenvereinigungen, die auch Frauen erlauben, doch das ist noch die Minderheit. Im Grunde sind aber alle Wandergesellen freie Reisende. Diejenigen, die Mitglied in einer Schacht sind, übernehmen nur noch zusätzliche Rechte und Pflichten bei der Reise. Nur wer die Gesellenprüfung bestanden hat, unter 30 Jahre alt, kinderlos, schuldenfrei und nicht vorbestraft ist, darf sich auf Wanderschaft begeben.

Die übliche Reisezeit beträgt drei Jahre und einen Tag, das kann aber von Schacht zu Schacht variieren. In diesem Zeitraum dürfen die Wanderer ihren Heimatort in einem Umkreis von 50 Kilometern nicht betreten. Meistens sind die Wandergesellen aber noch länger unterwegs. Nicht selten wird die Wanderschaft auf vier oder fünf Jahre verlängert.

Erkennbar sind die Wandergesellen an ihrer typischen Kluft, die an eine Tracht erinnert. An der Farbe kann man erkennen, welches Handwerk der Geselle ausübt. So steht die Farbe Schwarz für einen Gesellen, der mit Holz arbeitet, und Rot für Maler und Schneider. Sie dürfen kein Auto besitzen, sondern sich nur zu Fuß oder per Anhalter fortbewegen. An materiellen Gütern haben sie nur das dabei, was sie auch am Leib tragen, das betrifft auch das Geld. Das, was sie unterwegs brauchen, müssen sie sich verdienen. Oft sind sie auf die Hilfe und Freundlichkeit anderer Menschen angewiesen, die ihnen Unterschlupf gewähren. Mit dabei haben sie auch immer ein Buch, den so genannten Tippelbruder, wo eingetragen wird, in welchen Orten man schon überall war. Die Reise führt sie nicht selten sogar auf andere Kontinente wie Asien, Afrika oder Australien.

Es ist wohl nicht für jeden verständlich, warum man eine Reise in die Ungewissheit, ohne zu wissen, wo man am nächsten Tag ist, machen sollte. Die Lebenserfahrung und Menschenkenntnis, die man gewinnt, und die Freiheit, die man dabei genießt, machen wohl einen ganz besonderen Reiz aus. Erfahrung ist das, was einen im Leben weiterbringt, und dadurch hat die Tippelei auf jeden Fall ihren Sinn auch in der heutigen Zeit nicht eingebüßt.

(dw)

Foto: A. Stemmer 2006

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