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Statt Zwangsheirat lieber ins Bordell - nur als Nutte kann frau Frau sein?
28.09.2015
Fritz (lebhaft verkörpert von Daniel Kirch), die Jugendliebe von Grete, zieht es in die Ferne. Seine Verlobte bleibt vernünftig und hält ihn davon nicht ab. Der alkohol- und spielsüchtige Vater (Konstantin Sfiris) von Grete setzt diesmal die Freiheit seiner Tochter aufs Spiel. Da er verliert, soll seine Tochter, Grete, den reichen Wirt (Wilfried Zelinka) heiraten und die gesamte Familie aus der Notlage bringen. Da Grete dies keinesfalls will flieht sie. Sie begibt sich auf die Suche nach Fritz, denkt in ihrer Verzweiflung über den Tod nach und landet im Endeffekt in einem Bordell. Grete verhält sich sehr weiblich und für die gegebene Zeit als eine wahre Rebellin. Sie tritt ihren Eltern sehr ehrlich und direkt gegenüber. Das Wort der Eltern ist für sie kein Gesetz. Sie sieht die Lage ihrer Mutter, die keinen Mut hat, den alkohol- und spielsüchtigen Vater zu verlassen oder mit ihm zumindest ehrlich zu sein, denn sie hat sich für sein Vermögen verkauft. Grete ist entsetzt über das Verhalten ihres Vaters, der sie in seiner Spielagonie als eine gegenstandslose Sache aufs Spiel setzt. Sie wehrt sich gegen die gesellschaftlichen Normen und Vorstellungen.

Von der Mutter hat sie jedoch gelernt, sich selbst zu verkaufen. Wenn schon, denn schon. Damit könnte man ihre Entscheidung, ins Bordell zu gehen, begründen. Grete genießt es, dass Männer sie vergöttern, für eine Nacht mit ihr kämpfen. Sie veranstaltet Spielabende, bei denen Sie selbst der Gewinn ist. Revierkämpfe sind Alltag in der Natur. Das Weibchen sucht sich dann den Besten aus, der mit ihr den besten Nachwuchs zeugt. Warum überträgt jedoch Schreker diese Rolle auf das Bordell? Ist es in unserer Gesellschaft nur möglich, dass eine Frau erst im Bordell eine solche ist?

Aus der Biographie von Franz Schreker ist bekannt, dass seine Mutter, nachdem sein Vater an einer Lungenkrankheit gestorben ist, mit den Kindern alleine nach Wien gezogen ist, um Hilfe von Bekannten zu bekommen. Da es keine Informationen darüber gibt, dass sie neuerlich geheiratet hat, ist davon auszugehen, dass sie ihre Kinder alleine durchgebracht hat. Trotz der Not, Elend und dem Tod der Geschwister. Eine starke Frau, von der der Komponist unzweifelhaft das Beispiel für seine Frauenfigur aus "Der ferne Klang" geschöpft hat.

Das dritte Aufzug erinnert an das Ende von „La Boheme“, wobei die Rollen einander vertauschen und Fritz seinem Liebeskummer erliegt.

Die kargen, kalten Dekorationen von Martina Segna betonen die trübe Stimmung des Stückes, verwirren jedoch immer wieder aufs Neue durch ihre geheimnisvollen verdeckten Bedeutungen (Wald in Form einer verkehrten Orgel).

Das Stück ist trotz der Abwesenheit von Sexszenen sehr sexuell besetzt. Die Bewohnerinnen des Bordells tragen Kleider, die zwar nicht über die Knie gehen, jedoch Brüste und Oberschenkel verdecken, auf den Beinen bunte Strümpfe. Als Andeutung an die Weiblichkeit sind im Bereich der Brüste und der Vagina bunte Aufkleber aufgenäht.

Grete selbst (hervorragend von Johanni van Oostrum verkörpert, die uns mit ihrer unglaublich hoher, seidigen Stimme, die uns an die zarten Momente des Gute-Nacht-Lieds einer Mutter erinnert, verzaubert) trägt im Bordell eine Art Luftakrobaten-Overall, welcher nicht überspitzt oder zu vulgär wirkt, sondern vielmehr ihre Weiblichkeit betont. Sie zeigt sich in den Posen á-lá Sharon Stone beim Verhör im Film „Basic Instinkt“, indem sie ihre Macht über die Männer zeigt und diese auch ausübt und genießt.

„Der ferne Klang“ spielt in der Grazer Oper bis 1. November 2015.


Fotos: Werner Kmetitsch
 

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