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All the things beyond fat and flour
05.01.2014
"There is darkness. There is light. There are men and women. There's food. There are restaurants. Disease. There's work. Traffic. The days as we know them, the world as we imagine the world."

Mit diesen Worten beginnt "Perfect Sense" - ein unglaublich schöner, erschreckender und faszinierender Film, den man so schnell nicht wieder vergisst.


Kurzinhalt

Eine Liebe in den Zeiten der Apokalypse – eine unerklärliche Epidemie führt dazu, dass die Menschen auf der ganzen Welt nach und nach ihre Sinneswahrnehmungen verlieren. Während sich die Katastrophe langsam anbahnt, finden in Glasgow die Forscherin Susan (Eva Green) und der Chefkoch Michael (Ewan McGregor), beide von leidvollen Erinnerungen geplagt, zueinander. Obwohl sich die Krankheit weiter ausbreitet und alle Menschen ihren Geruchs- und Geschmackssinn bereits eingebüßt haben, geht das Leben weiter. Nach einer Phase der Desorientierung stellen sich die Menschen auf die neue Situation ein. Die Beziehung der beiden Liebenden entwickelt sich und wird immer intensiver. Es ist längst nicht nur die Leidenschaft, die sie zusammenhält...


In Zeiten der Filme über Zombie-Apokalypsen, Terror-und Bombenanschlägen und Alien-Invasionen gibt es nicht mehr vieles, das wir noch nicht gesehen haben. Einen Film zu produzieren, der Neues zeigt, ist nicht leicht. Und noch viel schwieriger ist es, eine Liebesgeschichte zu zeigen, die nicht wie alle anderen ist.

Doch „Perfect Sense“ ist nicht im herkömmlichen Sinne eine Liebesgeschichte. Lassen Sie sich von jemanden, der sich lieber den neuesten Sci-Fi-Thriller als eine Liebesschnulze ansieht, sagen, dass man Perfect Sense einfach gesehen haben muss. Vielleicht deshalb, da nicht die Liebesgeschichte im Vordergrund steht - zumindest nicht so, dass einem wie bei vielen Liebesfilmen vor lauter Kitsch fast Übel wird. Nein, viel mehr geht es umMenschen im Allgemeinen und was es bedeutet, eben jenes zu sein - Mensch.

Dabei begleitet uns eine Frauenstimme aus dem Off, um uns emotional nur noch mehr mitzunehmen. Diese Stimme (Katy Engels) hat etwas Beruhigendes in diesem Chaos der apokalyptischen Zustände und gleichzeitig ist man durch sie nur noch trauriger gestimmt. Es macht uns nur noch betroffener, auch wenn wir nicht wissen, warum genau. Im Normalfall sind Erzählerstimmen in Filmen eher überflüssig und oft fühlt man sich als Zuschauer fast schon aufs Korn genommen - immerhin sind wir klug genug, um die Handlung eines Filmes auch ohne Begleittext verfolgen zu können - doch auch hier macht es "Perfect Sense" irgendwie anders. Wenn man sich dann wieder einmal nach längerer Pause diverse Filmzitate durchliest, und sich dabei den Text mit der Stimme der Erzählerin gelesen vorstellt, wird man von einem Gefühl ergriffen, das unbeschreiblich ist.


Without smell, an ocean of past images disappears

Die Krankheit fängt damit an, dass den Betroffenen ein Gefühl von absoluter Traurigkeit überkommt. Da Susan als Epidemiologin genau diejenige ist, die man bei dieser Art von Problemen um Rat fragt, bekommt der Zuseher von Anfang an einen Blick auf das, was bald alle betreffen wird. Patient 0 wird von seiner Frau wegen einer unblichen Beschwerde ins Krankenhaus gebracht, und bald ist er nicht mehr der einzige... "He called me up, and he told me he was coming home. And then all of a sudden his voice breaks and he bursts into tears. And then he starts telling me that he doesn't see any meaning in life. I mean, he's not usually like that, he's a truck driver. And then he pulls over on the side and says he's fine again, except he can't smell any more."

Einmal mehr reißt Katy Engels' Voiceover den Zuseher mit, dies umso mehr, da die Globalität der unbekannten Krankheit mehr als erschreckend ist. Zu allem Übel kann niemand so richtig ausmachen, worum es sich bei dieser ominösen Epidemie eigentlich handelt, weniger wie man sie BE-handelt.
 
"Overwhelmed with grief, people are hit with all that they've lost. Lovers they never had, all the departed friends.. they think about the people they've hurt. First overwhelmed with grief, and then no sense of smell. That's the disease. They call it Severe Olfactory Syndrome - S.O.S."

Einer der faszinierenden Aspekte dieses Verlierens der Sinneswahrnehmungen sind die dem Verlust vorangehenden extremen Gefühlsregungen, denen die betroffenen "Patienten" ausgesetzt sind.
 
"Life goes on… the food becomes spicier, saltier, more sweet, more sour. You get used to it. The greater loss are all the memories that are no longer triggered. Smell and memory are connected in the brain. Cinnamon might've reminded you of your grandmother's apron. The scent of cut hay could've evoked a childhood fear of cows. Diesel oil might bring back memories of your first ferry crossing. Without smell, an ocean of past images disappears."

Als dann auch noch der mit dem Geruch zusammen hängende Geschmackssinn verschwindet, bekommt die Bevölkerung es langsam mit der Angst zu tun - und der Zuseher ebenso. Gleich wie bei dem Verlust des Geruchssinnes (Traurigkeit) überkommt den Mensch zuvor noch ein extremes Gefühl - nur dieses Mal mit ein wenig erschreckenderen Konsequenzen.
 
"First, the terror. And then a moment of hunger."

Ein die Betroffenen überfallendes Gefühl von Panik, gefolgt von einem extremen Hunger artet dann derart aus, dass sich die Menschen auf den Straßen alles, was sie in die Finger bekommen können, in den Hals stopfen (und wenn wir sagen "alles", dann meinen wir das auch so!). Die Menschen scheint in diesem Moment der Ekstase nichts und niemand anderes zu interessieren - ganz ungeniert und alles um sie herum vergessend schnappen sie sich alles, was sie finden können - und als das Gefühl auf einen Schlag endet, scheinen sich die Menschen plötzlich dessen bewusst zu werden, was sie gerade getan haben.
 
"This is how the sense of taste disappears from our world. They don't even have time to give the disease a name."


People prepare for the worst, but hope for the best. They concentrate on the things that are important to them.. all the things beyond fat and flour.

Da man ja weder riechen noch schmecken kann, wird die Kost aller auf Fett und Mehl reduziert, die preisgünstige Nahrungsmittelvariante, die alles beinhaltet, das der Mensch zum Überleben braucht. Gleichzeitig beschließen Susan und Michael, den Moment zu genießen und sich auf das konzentrieren, was das Leben lebenswert macht - all the things beyond fat and flour.
 
"Slowly things return to normal and life goes on. People do what they did before as best as they can. Within a few weeks, taste becomes a distant memory and different sensations take its place."

Zuvor geschlossene Restaurants blühen wieder auf, da man nun statt auf Geschmack auf Konsistenz, Temparatur und Beschaffenheit der Speisen beurteilt, man kommt ab von "Fett und Mehl" und eine Zeit lang sieht es so aus, als wäre alles wieder normal.

Doch langsam macht sich Angst breit, da man sich nicht sicher ist, wie es weitergeht und tatsächlich ist es noch nicht zu Ende. Ein Anfall von rasender Wut - und dann ist es plötzlich still.


I think it's okay to panic now...
 
"And that's basically what the world does. 'Severe hearing loss syndrome' spreads from Thailand across India, China, Russia and beyond... Rage. Anger. Hatred. And then the loss of another sense."

Als auch Michael von einem Wutanfall heimgesucht wird und Susan Dinge an den Kopf wirft, die er zweifelsohne später noch bereuen wird, verlässt Susan in Panik den noch tobenden Michael, um bei ihrer Schwester Jenny (Connie Nielsen) unterzukommen. Als die Welt im Chaos zu versinken droht, da mehr und mehr Menschen ihr Gehör einbüßen, wird es nun immer schwerer, lebensbejahend zu bleiben.
 
"There are two movements now; there are people who run on the streets, grabbing all they can, people who don't believe in anything but the end of the world. Then there's the other movement... Farmers going out to milk their cows. Soldiers reporting for duty. Those who believe that life will go on somehow, or just don't know what else to do."

Schlussendlich und trotz aller Barrieren finden Susan und Michael dann doch zueinander. Wenn man es richtig macht und mit einem Ende aufwarten kann, das zum gesamten Filmverlauf passt und dem Zuseher in Erinnerung bleibt, hat man im Grunde gewonnen. Denn ein guter Schluss bedeutet, dass der gesamte Film gut ist - Ende gut, alles gut! Genauso wie ein mittelmäßiger Film mit einem gut gemachten Ende (was nicht bedeutet, dass die Geschichte auch "gut" ausgehen muss) gerettet werden kann, kann man einen guten Film mit einem schlecht inszenierten oder nicht durchdachten Ende ruinieren.
 
"Once we thought of the ice age as something that cracked up, glaciers slowly spreading, temperatures gradually tropping. But recently, a number of intact mammoths have been discovered with stomaches full of undigested grass. The cold must have hit them like a blow from a club. That's how the darkness descends upon the world.
 
But first, the shining moments. A shared flinching of the brain's temperal lobe. A profound appreciation of what it means to be alive. But most of all, a shared urge to reach out to one another. To offer warmth. Understanding. Acceptance. Forgiveness. Love."
 
Es gibt recht wenige Filme, nach denen man einfach nicht anders kann, als sich den Abspann noch anzusehen (bzw. anzuhören, denn zu sehen bekommt man nach Filmende nichts). Außer den obligatorischen Produktionsinformationen gibt es eigentlich nichts Wichtiges – doch man kann trotzdem nicht anders. Dies mag an der wunderschönen Klaviermusik liegen, die zwar simpel ist, aber als Hintergrundmusik ein konstanter Bestandteil der Filmerzählung ist und während des gesamten Filmabspanns weiterläuft.

Es wundert uns nicht, dass "Perfect Sense" durchwegs gute Kritiken und Bewertungen hat. Trotz Panik, Verwüstung und Epidemie hinterlässt dieses Meisterstück aufgrund der wunderschönen Erzählung nämlich ein warmes Gefühl.
 
It's dark now. But they feel each other’s breath. And they know all they need to know. They kiss. And they feel each other’s' tears on their cheeks. And if there had been anybody left to see them, then they would look like normal lovers, caressing each other’s' faces, bodies close together, eyes closed, oblivious to the world around them. Because that is how life goes on. Like that.”


Sabine Stenzenberger

Bildmaterial: © Senator Home Entertainment

Perfect Sense
Originaltitel: Perfect Sense
Regie: David Mackenzie
Darsteller: Ewan McGregor, Eva Green, Ewen Bremner, Connie Nielsen
Bonusmaterial: Interviews mit Cast & Crew, Making of
Drehbuch: Kim Fupz Aakeson
Produzent: Malte Grunert
 

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