Wie man von den Gastmüttern den falschen Umgang mit den Kindern lernen kann
„Katharina und Nicolaus haben eigene Betten und ein eigenes Zimmer,
obwohl sie am liebsten bei mir schlafen und in der Früh in mein Bett
wandern. Einschlafen sollten beide jedoch im eigenen Bett“, ungefährer
Text meiner letzten Gastmutter aus Wien, bei der ich mich bis Oktober
2010 aufhielt. Ich legte die Kinder jeden Tag ins Bett und meine Aufgabe
war dabei, sie davon abzuhalten, das Zimmer zu verlassen und zur Mutter
zu laufen, um ihr ein weiteres Bussi zu geben und „Gute Nacht“ zu
wünschen. Das Mädchen hielt das noch aus, der 2-Jährige Bub hatte jedoch
kein Verständnis dafür. Er lief immer wieder raus und legte sich ins
Bett der Mutter, äußerte direkt und standfest seinen Wunsch in diesem
die ganze Nacht lang zu bleiben. Da ich das nicht besser wusste, machte
ich immer mit und zerrte den Kleinen wieder zurück in sein Zimmer.
Seinen Widerstand beruhigte ich mit Umarmungen und redete ihm ein -
obwohl es mir oft schwer fiel ihn von der Mutter, die sich in zwei Meter
Entfernung von ihm befand, fernzuhalten - Mutter brauche jetzt Ruhe von
ihm oder will sich ausschlafen. Irgendwie kam es mir komisch vor. Ich
las den Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte vor. Nicolaus setzte sich
normalerweise auf meinen Schoß und streichelte meinen Bauch an einer
Flasche mit Milchpulver nuckelnd. Ihm fehlt es auf jeden Fall an
Körperkontakt. Einmal nahm sie sich Urlaub von den Kindern, weil es so
anstrengend war, so früh aufzustehen und sich mit ihnen zu befassen.
Genauso war sie immer froh, wenn die Kinder am Wochenende nicht da
waren.
Den kleinen Leander habe ich am liebsten getragen oder mit
einem Fahrrad gefahren. Eher weniger Freude habe ich mit dem
Kinderwagen gehabt. Totale Freude habe ich damit gehabt, dass meine
Gastmutter aus Sylt nichts dagegen hatte und mich nur vorwarnte, dass er
zu schwer ist und ich mich selbst entscheiden soll, ob ich es schaffe,
ihn zu schleppen.
Als ich einmal gesehen habe, dass sie das Baby in
einem Tragetuch getragen hat, wuchs in mir auch der Wunsch es ihr
gleichzumachen. Jedoch schlug sie mir das nie vor und ich traute mich
auch nicht nachzufragen, weil ich die Tragemöglichkeit als ein Privileg
der Mütter einschätzte.
Immer wieder setzte in meinem Inneren ein
gewisser Wiederstand ein, wenn mir etwas in der Erziehung der Kinder
nicht passte, jedoch wagte ich nicht zu wiedersprechen, denn ich
schätzte die jeweilige Mutter für kompetent genug ein, um es richtig zu
machen. Sie ist die Mutter, sie wird es besser wissen, vor allem, wenn
das bereits ihr viertes Kind ist.
Als ich mich mit dem Thema
Kinder, Kindererziehung, Sexualität etwas tiefer befasste, fielen mir
die vielen Fehler, die ich auf Grund des Unwissens gemacht habe auf. Ich
ließ mir einreden, dass es richtig sei und machte meinen Schnabel nicht
auf, weil ich meinem Gefühl nicht gut genug traute und meine Kompetenz
unter der der Mütter einschätzte. Man glaubt automatisch, das Kind wird
einem auch selbst zeigen, was ihm nicht passt, sich dagegen stellen,
wehren. Jedoch stimmt es tatsächlich, dass Kinder, mehrmals missbraucht
von den eigenen Eltern, oft alles zulassen was sie mit ihnen anstellen.
Selbst Mutter, schien mir diese Vorstellung gleich praxisfremd. Jordan
kann man nichts vorschreiben. Alles, was ihm nicht passt, löst einen
lauten Protest in ihm aus. Er kämpft, er wehrt sich dagegen. Nicht wie
jene Kinder, bei denen dieser Protest zuerst übersehen, dann ignoriert
wird.
Als Studentin war ich Babysitten bei einer Familie in Wien.
Das Baby habe ich bereits im Bauch kennengelernt und kam dann öfter in
die Wohnung, um die Mutter nach der Geburt zu unterstützen. Manchmal
wollte die kleine am Tag schlafen und ich schaukelte sie sanft in den
Schlaf auf meinem Arm. Das Gefühl war so angenehm, dass ich sie nicht
wieder loslassen wollte und somit setzte ich mich mit einem Buch, sie
auf meiner Schulter schlafend, auf die Couch. Ich kann mich im
Nachhinein erinnern, wie schwer es ihr immer fiel im Kinderbettchen
einzuschlafen und wie sanft und ruhig ich sie auf dem Arm in den Schlaf
schaukelte. Ich kann mich sogar erinnern, dass sie im Schlaf lächelte
und als sie aufwachte, war sie froh vor sich ein lebendes Wesen und
keine schaukelnden hölzernen Figuren zu entdecken. Sie weinte auch gar
nicht. Als ihre Mutter mich einmal dabei erwischte, als ich die Kleine
auf meinem Arm schaukelte, weil sie bitterlich weinte und ich auf die
Gastmutter wartete, die mir nicht verraten wollte, wo ihr Kurs stattfand
(in Österreich ist es Pflicht, das Kind zum Stillen zur Mutter zu
bringen. Sie jedoch verweigerte diese Option, meinte, sie sei eh in der
Nähe und kommt rasch), nahm sie sie rasch in die Hände und schmiss sie
nach der Phrase „Oh, du wirst mit dem Tragen verwöhnt!“ schnell ins
Kinderbettchen. Damals ratlos und der Meinung, es macht keinen
Unterschied, ob die Mutter zum Kind kommt oder das Kind zur Mutter, weiß
ich ganz genau, dass das Gehen selbst viel ausmacht. Es zeigt, dass die
Herde zieht, es keine Milch gibt und das Baby hört auf zu weinen. Beim
Stehen gibt´s Milch.
Sie wollte nicht, dass das Kind zum Stillen
gebracht wird und pumpte die Milch ab. Bereits beim ersten Füttern
machte es mich fertig. Ich legte das Gummizeug der Kleinen auf die
Lippen und beobachtete ihren verwunderten Blick zuerst auf meinen Busen,
dann auf die Flasche. Ich war fassungslos, sie hat es genau erkannt.
Jetzt, wo ich mehr über Babys, Muttersein weiß, erkenne ich in ihren
Augen diesen Betrug, den ich mit ihr durchgeführt habe: Ich habe sie mit
Gummizeug betrogen.
Das Schrecklichste nämlich ist, dass ein
Aupair, als zukünftige Mutter automatisch den Umgang mit den Kindern von
der Gastmutter lernt, wenn auch immer unbewusst. Was ihr vorgelebt,
vorgezeigt wird, führt sie in der Zukunft mit ihren eigenen Kindern
durch. Hätte ich keine andere Information bekommen, keine andere
Lebensweise gesehen, würde sich der Umgang mit meinem eigenen Sohn nicht
anders gestalten. Vielleicht hätte ich meinen Aupair nie schief
angeschaut, wenn es mich nach einem Kinderwagen fragt, sondern hätte
einfach einen rasch aus dem Keller geholt.
Heute, als Mutter
eines 6-monatigen Buben, weiß ich ganz genau, was ich falsch gemacht
habe und es tut mir Leid, vor allem, dass ich den Müttern keine anderen
Informationen geben konnte. Jedoch aus der Erfahrung, werden diese
Informationen auch nicht angenommen, denn was kann schon eine 22-jährige
junge Frau einer Mutter erzählen, wie sie ihr Kind großzuziehen hat.
Viel zu niedriger Status. Jetzt bin ich gleichgestellt, bin selbst eine
Mutter.
Ich weiß, dass mein Kind getragen werden will und nicht
abgelegt. Und mit dem Tragen wird es sicher nicht verwöhnt, sondern
bekommt genug Körperkontakt und viel Wärme und Geborgenheit, was ihm
eine gute Gesundheit bietet. Er lässt sich nichts gefallen, kämpft. Ich
kann es mir nicht vorstellen, ihn beim Schlafen abzulegen oder ihn in
der Nacht in einem kleinen Kinderbettchen zu haben, weil ich
Privatsphäre mit meinem Partner brauche. Ist doch lächerlich. Er ist
meine Privatsphäre und seine Nähe tut mir am besten. Auch wenn ich mich
öfter ärgere, dass er manchmal stundenlang an meiner Brust zuzelt, ohne
zu trinken, bin ich trotzdem froh, dass ich ihn nicht betrügen muss und
überlasse ihm die Möglichkeit selbst zu entscheiden, wann er nicht mehr
gestillt werden will. Urlaub von meinem Jordan haben? Bin ich verrückt?
Wenn Urlaub, dann nur mit ihm, denn er beschmückt mein Leben.
Ich
bin froh, dass ich die für mich und aus meiner Sicht richtigen und
wichtigen Informationen über Erziehung und was Kinder, im
speziellen Babys, alles brauchen, um gesund und glücklich zu sein,
bekommen habe. Meinem Aupair will ich ein gutes Beispiel einer
kindergerechten Erziehung sein.
(vs)
Foto: alitaylor